Architektur und Kunst im Dialog
Text: Prof. Willem-Jan Beeren
Das Gespräch der Künste und Wissenschaften
Zum Spezifikum der Architekturlehre an der Alanus Hochschule gehört die Anschauung, dass die Architektur als „Tochter“ der Künste und Wissenschaften große Teile ihres methodischen Repertoires und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten eben diesen Künsten und Wissenschaften verdankt. Gleichzeitig bietet die Architektur mit ihrer Kerndisziplin des Entwerfens eine integrierende und synthetisierende Kulturtechnik an, die einerseits Objekte der sichtbaren Welt (Räume, Bauten, Städte) entstehen lässt, andererseits einen Beitrag liefern kann zu einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Kulturentwicklung. Die Studienangebote des Fachbereichs Architektur der Alanus Hochschule reflektieren diesen Ansatz durch die Integration künstlerischer und wissenschaftlicher Angebote.
Lehre in Bachelor und Master
Die Veranstaltungen des Lehrgebietes Architektur und Kunst bieten Raum für künstlerisch-gestalterische Erfahrungen sowie die Reflexion und Vernetzung zu anderen (Wissenschafts-) Disziplinen wie Soziologie, Architekturtheorie oder Planungsmethodik. Durch den Einbezug von darstellenden und bildenden Künstlern sowie durch Exkursionen entsteht ein lebendiger Dialog zwischen Mensch, Werk und Prozess und ein Labor interdisziplinärer Zusammenarbeit.Die Lehrangebote sind in der Lernsäule „Architektur und Kunst“ verortet sowie im Modul „magAtelier – Mensch, Architektur, Gesellschaft“. Sie bieten eine Ergänzung zu den zentralen Entwurfsmodulen und Semesteraufgaben, um spezifische Interaktionen von Kunsterfahrung und Entwurfsarbeit (z.B. Formenlehre und Gebäudelehre: Typus und Metamorphose als Formprinzip; Körperarbeit und Tragwerkslehre: Tragen und Lasten als leibliche Erfahrung; Installation und Städtebau: Der öffentliche Raum als prozessuales Kunstwerk) zu ermöglichen.
Themen und Projekte
Im Bachelor-Grundlagensemester „magAtelier“ beschäftigen wir uns mit der Wahrnehmung als Basis jeglicher gestalterischer Arbeit. Dabei entdecken wir die Vielfalt menschlicher Sensibilität für Formen, Farben, Gerüche, Geschmäcker, Klänge, Strukturen, Temperaturen oder Bewegungen. Anhand selbst entwickelter und angeleiteter Übungen erfahren die Studierenden sich in Beziehung zur Umwelt als aktiv und schöpferisch Wahrnehmende. In gemeinsamen Reflexionsrunden ziehen wir Parallelen zur Architektur und der Gestaltung von Räumen.
Nah und Fern
Im Herbstsemester 2019 beispielsweise führte der Weg auch zur Ausstellung des Lichtkünstlers James Turrell im Frieder Burda Museum Baden-Baden und ermöglichte uns vertiefte und nachhaltige Erfahrungen, Farbe als raumbildende Qualität zu erleben. Insbesondere die Farbräume, die sog. Ganzfelder zeigen auf eindrückliche Weise, daß der Raum qualitativ als intermediärer Prozess und nicht nur als materielle Grenze erfahrbar ist.
Raum sehen
Eine differenzierte Wahrnehmung von Raum ermöglicht ein differenziertes Entwerfen von Raum. Im Rahmen von Fotografie-Seminaren untersuchen die Studierenden gezielt urbane oder achitektonische Konstellationen und versuchen diese mit den Mitteln der Komposition zu Bildern zu verdichten. Im Seminar #urbanfoto waren sie aufgefordert, eine selbst gewählte städtische Situation über einen längeren Zeitraum zu beobachten und zu fotografieren, um die (langsamen und schnellen) Veränderungen im und mit dem Raum zu erfassen. In einer Ausstellung galt es, die jeweilige räumliche Atmosphäre bis in die Art der Hängung und Präsentation hinein erlebbar zu machen.
Raum formen
ArchitektInnen gestalten in erster Linie den dreidimensionalen Raum, auch wenn sie dafür viel Zweidimensionales bewegen und gebrauchen. Angefangen bei der Skizze und dem Plan, über das Entwerfen zwischen Böden, Wänden und Decken, der Konstruktion von Fassaden und der Integration von technischer Infrastruktur geht es im Kern um das Erfinden lebenswerter und lebensfördernder Räume. Von daher spielt neben der Kultivierung des Zeichnens und weiterer zweidimensionaler Darstellungstechniken das dreidimensionale künstlerische Arbeiten im Architekturstudium eine wesentliche Rolle. Ausgehend von grundlegenden plastischen Phänomenen wie konvex-konkax, Innen-Aussen, organisch-kubisch entwickeln die Studierenden in freien Projekten sowohl ein Handwerkzeug als auch ein Gespür für Raum- und Objektkompositionen. Als willkommener Ausgleich zum klassischen Entwurfsprozess geht dabei das Machen dem Planen voraus; das Vertrauen in die „manuelle Intelligenz“ wird gestärkt.
Raum bespielen
Ein wichtiger und für das Architekturstudium relevanter Schritt führt aus dem Atelier und dem modellhaften Maßstab hinaus in öffentliche Kontexte und in 1-zu-1-Verhältnisse. Hier werden im Gegensatz zu kleinplastischen Arbeiten echte raumbildende Erfahrungen möglich. Das Format der temporären künstlerischen Intervention hat sich über die Jahre bewährt, einen gemeinsamen Gestaltungsprozess analog dem Entwurfs- und Bauprozess zu durchlaufen, der alle wesentlichen Aspekte beinhaltet: Von der Entwicklung einer Gestaltungsidee (aus einem gewählten Material, aus einer spezifischen Fragestellung oder aus den Gegebenheiten eines Ortes) über die Planung und Koordination der Umsetzung, der Kommunikation mit der Öffentlichkeit durch das Werk bis zum Rückbau und Dokumentation. Immer wieder berichten die Studierenden im Nachgang zu diesen Projekten von der Befriedigung, die sie durch das reale Schaffen und der (überwiegend) positiven Bestätigung durch die Öffentlichkeit erfahren.
Raum erleben
Eine Besonderheit der künstlerischen Gestaltungslehre im Fachbereich Architektur bilden die darstellenden und Bewegungs-Veranstaltungen. Insbesondere in den ersten beiden Studienjahren des Bachelors erleben die Studierenden im Feldenkrais, der Bothmer-Gymnastik, der Eurythmie und dem Schauspiel, welche grundlegende Aufgabe der menschliche Leib bei der Wahrnehmung von Raum hat. Auch wenn ein Großteil unserer heutigen Wahrnehmung Sehwahrnehmung ist und damit kopfzentriert stattfindet, nehmen wir alle basalen Raumqualitäten wie Höhe, Tiefe, Schrägen, Staffelungen über unser eigenes Im-Leib-Sein wahr.
Überhaupt kann Architekturwahrnehmung nur stattfinden, indem wir uns leiblich in ihr bewegen und einzelne Erfahrungssequenzen zu einem Gesamteindruck synthetisieren. Ein gutes Leibgespür, eine vitale Eigenbeweglichkeit, ein Gefühl für die Beziehung des Körpers zum Raum hilft dabei, die Entwurfsfähigkeit zu steigern:
„Die wesentliche Aufgabe von Architektur ist es, uns – auch geistig – zu beherbergen und in die Welt zu integrieren. Architektur artikuliert unsere Erfahrungen des In-der-Welt-Seins und stärkt unseren Sinn für die Wirklichkeit und für uns selbst; sie lässt uns nicht nur reine Fantasiewelten bewohnen. (…)lebenssteigernde Architektur muss alle unsere Sinne gleichzeitig ansprechen, um unser Selbstbild mit unserer Welterfahrung zu vereinen. (…) Anstatt lediglich optisch verführerische Objekte zu schaffen, verbindet, vermittelt und erzeugt Architektur Sinnhaftigkeit. Der tiefste Sinn jedes Gebäudes liegt jenseits der Architektur; sie führt unser Bewusstsein zurück in die Welt und hin zu unserem eigenen Selbst- und Seinsempfinden. Sinnstiftende Architektur lässt uns als ganzheitliche körperliche und geistige Wesen erfahren. Das ist die eigentliche große Aufgabe bedeutender Kunst.“
Die Augen der Haut. Architektur und die Sinne, Juhani Pallasmaa (2013)
Als Begleitmodule des Ausbildungskerns, dem projektorientierten Entwurfsstudium, bieten die Veranstaltungen „Architektur und Kunst“ wertvolle Experimentalräume für eine resonante Selbst- und Welterfahrung. Im Sinne des Leitbildes der Alanus Hochschule fördern sie eine in das Fachstudium integrierte Persönlichkeitsentwicklung.