Wien Grüss Gott

Wien Grüss Gott

Exkursion vom 6.09.-13.09.2018  

Text: Prof. Benedikt Stahl 

Albertina Wien, Skizze Benedikt Stahl

Donnerstag, 06.09.18 

WIEN GRÜSS GOTT. Anreise und Annäherung. 

Ankommen. Annäherung. Der erste Eindruck von der Stadt. Vom Flughafen aus, wo sie noch nicht sichtbar ist. Vielleicht dahinten, im fernen Morgenlicht. Kurze Zeit später mittendrin. Altbekannte Haltestellen. Landstraße, Karlsplatz, Pilgramgasse, gleich in der Nachbarschaft des Naschmarkts. Die angemietete Wohnung ist sehr sympathisch. Spuren der jungen Menschen, die hier sonst zuhause sind. Jetzt ist es unseres für die kommenden Tage. 

Erster Wiener Geschmack im Gasthaus STEMAN, Grüß Gott. (Warum grüßen die hier eigentlich immer den Gott oder fordern zur Begrüßung dazu auf? Kann man wahrscheinlich gugeln.) 

Erste Begegnung mit Elena Henrich, die uns sehr mit den Vorbereitungen für diese Reise unterstützt hat, im Büro für visuelle Gestaltung lenz+. Die kleine Gruppe der früh Angekommenen schart sich um den Büchertisch. Elena erzählt von ihrer Arbeit und wir erfahren etwas über die Entstehung oder Eigenheiten der sensibel gestalteten Werke. Wir sind beeindruckt und finden damit zugleich den Eingang in das Hauptthema unserer Reise: Architektur, Kunst und Kultur in Wien. 

Abends im Gasthaus. Wiener Schnitzel, Sturm, Gspritzter Weißer, Blunzengröstl, Zwickl. „Warts ihr schon mal hier?“

Karlskirche Wien, Skizze Benedikt Stahl

Freitag, 07.09.18 

WIEN GESCHICHTE. Aufbruch in die Moderne. 

Am nächsten Morgen Besuch der Otto Wagner-Ausstellung im Wien Museum am Karlsplatz. Umfassende Schau seiner Arbeit, viele fantastische Zeichnungen, Modelle, Skizzen, Portraits, Fotografien, sogar zwei Liebesbriefe Wagners an seine angebetete Frau, Louise Stiffel. Neben den Briefen eine kleine Detailzeichnung des Meisters: akribisch hat er den Körper seiner Geliebten vermessen und in seinem Skizzenbuch festgehalten! Hinter dem Werk wird der Mensch sichtbar. Seine Leidenschaft, sein Geist, seine Vision und sein Schaffenswille. Auch seine Schwächen vielleicht, seine Eitelkeit.  

Dichtes Ankommen in dieser ersten Architekturbegegnung.  

Vor der Karlskirche ein kleiner gedanklicher Ausflug in die Geschichte. Das Römerlager, die Grenzstadt am Limes, Bernsteinstraße, das Mittelalter, Die freigesetzten Kräfte der Reformation und Gegenreformation. Hochzeit prachtvoller Architektur in Begleitung darstellender und bildender Künste. Kaiserzeit, Wien als Machtzentrum. Überwindung der Belagerung durch die Türken, ständiges Auf und Ab, der Wechsel von Aufbau und Zerstörung. Das Neue, dass von außen in die Stadt dringt, dass sich verwandelt und von hier aus wieder in die Welt entlassen wird. Die Ringstraße als Zeichen der neuen Zeit, der Großstadt. Krieg und Frieden lösen sich ab. Das Zeitalter der Industrialisierung. Immer wieder starker Erneuerungswille. Abspaltung vom Alten. Secession, Jugendstil, Moderne. Erster und zweiter Weltkrieg, dazwischen das Rote Wien.  

Die unsägliche Zeit des Nationalsozialismus. Die Stadt, die die Vernichtung und Vertreibung der Juden schon aus dem Mittelalter kennt, erlebt den Schrecken des Holocaust. Das wirkt bis heute nach, hoffentlich weiterhin stark genug.  

Wiederauferstehung. Geistige Revolution der 60er Jahre. Wieder neue Wege, auch in der Architektur. Das Hollein Zitat: „Alles ist Architektur“ überwindet die Coolness des Funktionalismus und steht für eine Wiederentdeckung der Sinnlichkeit, des Mythischen, der atmosphärischen Welt. Dann die jungen Wilden. Alles ist erlaubt. Was gefällt. Irgendwie bis heute, oder? 

Die Daten der Geschichte, die Zahlen sind weniger wichtig als das, was dahinter verborgen ist. Welche Haltung hat eine Epoche, wer ist mit wem verbunden, wie entstehen die Geschichten des Lebens, was hat die Vergangenheit mit dem zu tun was heute ist oder was sein wird? Wo stehen wir selbst? Was wollen wir? Auch: wozu diese Reise, was bringt uns das? 

Erster Spaziergang durch die Stadt mit Besuch der Postsparkasse von Otto Wagner. Abschlussgespräch vor dem Loos Haus am Michaelerplatz. 

Samstag, 08.09.18 

WIEN KKK. Kunst, Kultur, Kaffee. 

Besuch des Architekturzentrums Wien, kurz AZW. Stöbern in Dokumenten, Büchern, Berichten. Ich finde ein Buch von Hermann Czech über das Loos Haus „ohne Augenbrauen“. Das um 1910 fertiggestellte Gebäude war vor allem wegen seiner „schmucklosen Fassade“ sehr umstritten. Die Wiener Öffentlichkeit mitsamt ihrem Kaiser setzen mit ihrem Wiederwillen gegen das Projekt dem Architekten bis an die Grenzen seiner Gesundheit zu. Am Ende, nach vielem Hin und her, der Kompromiss mit ein paar vorgehängten Blumenkästen. Dazu beigetragen hat sicher auch die Loos Verteidigung seiner Ideen vor 2000 Menschen im Sophiensaal. Czech schreibt: „Weniger aus Funktion und Konstruktion als aus einem geistigen Wollen ist dieses Werk zu verstehen. Nur darum traf es den Nerv einer Stadt und ihrer Kultur.“ 

Kaffee und Wiener Suppen im Café von Lacaton-Vasalle unter dekorativ gefliestem Gewölbe. Kleine Gespräche über das Wiener Kaffeehaus und die Kunstszene der Stadt. Beides ist zumindest in der Moderne untrennbar miteinander verbunden. Als Treffpunkt berühmter – und sicher noch mehr weniger berühmter – Literaten und Künstler gelten die Kaffeehäuser als Geburtsort der Ideenwelten für die Zukunft. Ob das heute noch so ist? 

Besuch der Villa Beer von Josef Frank, eine einmalige Gelegenheit, ist doch dieses besondere Haus aus den 20er Jahren nur an sehr wenigen Tagen öffentlich zugänglich. Heute wohnt niemand mehr hier und uns fasziniert vor allem das Innere dieses eher unscheinbar verkleideten Raumwunders vom ersten Moment an. Raumfolgen, Einblicke, Durchblicke, das Labyrinthische. Flure werden zu Wegen, Korridore zu Gassen, Aufweitungen gleichen kleinen Höfen, Wohnräume sind wie Plätze. Unverkennbar hat der Loos´sche Raumplan die Feder des Entwerfers geführt, nur scheint sie weniger streng gewesen zu sein als bei ihrem Meister. Das Ganze wirkt auch mit den Gebrauchsspuren der letzten Bewohner irgendwie fröhlich und leicht, ist, vor allem an diesem Sonnentag, lichtdurchflutet. 

Wir bleiben eine ganze Weile, fotografieren, skizzieren, reden oder genießen einfach nur den schönen Spätsommernachmittag im Garten der Villa, die für diesen Augenblick mit der Gegenwart von Menschen aufzuatmen scheint. 

Villa Beer, Skizze Benedikt Stahl
Skizze Benedikt Stahl

Sonntag, 09.09.18 

WIENER SONNTAG. Mit dem Radl zum Strombad und dem Heurigen im Grünen. 

Mit dem Radl ins Grüne. Mit den geliehenen Stahlrossen fahren wir am Donauradweg raus bis nach Kritzendorf. Diese Tour führt am Karl-Marx-Hof vorbei. Grund genug, auch hier einen Moment an und inne zu halten. Das bereits erwähnte „Rote Wien“ feiert hier wohl seine bis heute unerreicht größte Errungenschaft: Wohnen als soziales Projekt. Mit der Begründung des sozialen Wohnungsbaus in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts entsteht hier ein Wohnkomplex mit knapp 1400 Wohnungen für 5000 Menschen, die in dieser Hofanlage ein neues, für die damaligen Verhältnisse modernes und menschenfreundliches Zuhause finden. Nur etwa 20 Prozent der Grundstücksfläche sind überbaut, damit bleibt viel Freiraum, der auch heute noch gerne genutzt wird. Ein Waschhaus, Kindergarten und andere Gemeinschaftseinrichtungen halfen, den Lebensalltag zu erleichtern und zu organisieren. Familienfreundliches Wohnen, immer noch. Heute hat die Stadt Wien über 200000 Sozialwohnungen, etwa die Hälfte davon in eigenem Besitz, der Rest im Eigentum städtischer Wohnungsbaugesellschaften. Diese Tradition ist europaweit, vielleicht sogar weltweit, unvergleichlich und steht auf festem Fundament.  

Unser Weg führt uns weiter, die Donau hinauf bis zum Strombad Kritzendorf, einem ebenfalls vor etwa 100 Jahren gegründeten Freizeit und Erholungsort vor den Toren der immer größer werdenden Stadt. Elena hat für uns einen Rundgang mit zwei Freunden durch die Strombadsiedlung organisiert. In kleinen Holzhäuser auf Pfählen verbringen die Strombadsiedler hier ihre Sommermonate, wohl damals schon. Manches wirkt etwas morbide, anderes ist mit Dämmputz und „modernen Materialien“ etwas übereifrig „saniert“, doch findet sich immer noch das ein oder andere Orginal, mitunter sogar sehr gepflegt oder sensibel wiederhergestellt. In einem ganz neuen, sehr schönen und vor allem gut durchdachten Neubau bekommen wir dann vom stolzen Eigentümer sogar eine kleine Spontanführung, die uns staunen lässt, was auf kleinstem Raum möglich ist. 

Elenas Freund sorgt mit seinem schicken Rennboot für eine vollkommen unerwartete Abwechslung: mit einem speziellen wakeboard kann man hinter seinem extra dafür ausgestatteten Flitzer auf der Kielwelle surfen. Die Mutigen in unserer Gruppe trauen sich das sogar und haben einen Riesenspaß dabei. Andere belassen es beim (ziemlich) kühlen Bad in der blauen Donau. Auch das darf sein!  

Zum Abschluss eine steile Bergauffahrt und zur Belohnung gibt’s ein Stelldichein im Heurigen, bei Ubl Doschek. Zu ausgewählten Winzerspeisen wird grüner Veltliner serviert. Das stärkt für die späte Radfahrt zurück nach Wien.

Montag, 10.09.18 

WIEN WOHNEN. Beispiele sozialer Bau-Projekte. 

Früh am Morgen müssen die Leihräder wieder abgegeben werden, was ohne Probleme gelingt. Kaum zu glauben! Anschließend haben wir eine Verabredung im Büro nonconform, wo uns Peter Nageler mit seiner Kollegin Johanna Treberspurg empfängt. Die beiden haben sich sehr viel Zeit für uns genommen, und verwöhnen uns auch noch großzügig gastfreundlich mit Kaffee und Kuchen! Ein Merkmal, dass, so erfahren wir später im Gespräch, ihre Arbeit von der Gründung des Büros an begleitet oder prägt. Peter Nageler und Roland Gruber, der zurzeit das Berliner Büro leitet, vertreten mit ihrer Arbeit die These, dass gute Ergebnisse nur erzielbar sind, wenn alle daran Beteiligten „miteinander weiter denken“. Ihr Büro haben sie nach dem ideellen Vorbild einer Stadt organisiert. So gibt es zum Beispiel „Häuser“ für einzelne Arbeitsgruppen, die „Kämmerei“ für die Finanzplanung oder den „Aussichtsturm“ für Ideenfinder. Ihre soziokratisch angelegte Arbeitsweise nutzen sie ebenso für sich selbst, wie für die Büroprojekte. Begeistert berichten Peter und Johanna von der ein oder anderen Arbeit, die egal ob nun als Freiraumplanung, Schulbau oder als Projekt einer Wohnbaugruppe mit erkennbarer Leidenschaft und mit Herz behandelt werden. Es macht Spaß hier zuzuhören und die Ohren der Studenten werden immer größer. Wer weiß, vielleicht landet der ein oder andere eines Tages hier im Wiener Büro… 

Mit einem kleinen „Raumlaborexperiment“ im Hof, schließen die Gastgeber nach drei guten Stunden den Besuch ab und man merkt ihnen an, dass sie ohne weiteres und mit Spaß noch weiter erzählen könnten. So begleitet uns Peter dann auch noch in eines der Wagner-Häuser in der Döblergasse 4, etwa zehn Gehminuten entfernt. Aus früheren Zeiten hat er hier noch einen Zugangsschlüssel und so kommen wir unverhofft in den Genuss, das Treppenhaus im Sterbehaus Otto Wagners benutzen zu dürfen. Zwölf Zentimeter hoch hat der Wiener Meister seine Stufen geplant. Damit ergibt sich ein sehr angenehm begehbarer Treppenlauf mit eleganten Details der Stufenauflager und Geländer. Hier kündigt sich zudem die Moderne deutlich an! Im Ausgang einen Moment innehalten: hier ist der große Architekt nach seinen letzten Atemzügen am 11. April 1918, also vor 100 Jahren wohl hinausgetragen worden. Erlebbare Wiener Architekturgeschichte. 

Am Abend eine weitere erinnerungswürdige Begegnung. Wir treffen Alex Hagner in dem von ihm umgebauten Haus „Vinzi-Rast, Mittendrin. Im Gastraum des Restaurants und in einer der zum Haus gehörenden Schreinerwerkstätten erzählt er uns die Geschichte des Projekts. Gemeinsam mit Studenten und Obdachlosen sowie weiteren Beteiligten Helfern, Nachbarn, Mitmachern und Förderern konnte es gelingen, dem leer stehenden Gebäude in der Währinger Straße 19 neues Leben einzuhauchen. Wieder ein Mensch, der vor allem mit viel Begeisterung von seiner Arbeit redet, die er von der ersten Idee bis zum letzten Handgriff nicht nur begleitet, sondern in der er gelebt hat. Die Holzverkleidung des Restaurants aus lauter zurechtgesägten Holzbrettchen aus alten Gemüsekisten spricht für sich. So etwas ist nur mit viel Liebe und Disziplin möglich, die es wohl auch gebraucht hat um den „bunten Haufen“ der Mitarbeiter bei der Stange zu halten. Chapeau! Ein tolles Werk, nicht nur äußerlich und als Objekt sondern vor allem auch, weil es dazu geführt hat, mittel- oder wohnungslose Menschen von der Straße zu holen und ihnen hier ein neues Zuhause zu errichten! Hagner bekleidet inzwischen eine Stiftungsprofessur für Soziales Bauen an der FH Kärnten und wir wünschen ihm bei seinen weiteren Vorhaben sehr viel Glück und Unterstützung. Nicht nur Wien kann solche Typen und Ideen gut gebrauchen! 

Judenplatz Wien, Skizze Benedikt Stahl
Marx Hof Wien, Skizze Benedikt Stahl

Dienstag, 11.09.18 

WIEN NEU. Aktuelle Architekturprojekte. 

Nach dem gestrigen Auftakt mit den beiden Begegnungen aktuell tätiger Wiener Architekten und ihren „sozialen Ideen“, haben wir für heute nochmal die Chance, zwei weitere Büros zu besuchen. Natürlich könnten wir uns auch einfach vornehmen, aktuelle Bauwerke anzusehen, versuchen in das ein oder andere hinein zu kommen oder zumindest die städtebauliche Situation zu studieren. Viel aufschlussreicher scheint uns jedoch die Idee, vor allem die Macher einiger Projekte treffen zu können. Gerade wenn wir sie in ihren Büros besuchen dürfen, ist es besonders spannend zu sehen, wie, mit wem, und unter welchen Umständen sie hier arbeiten und zu spüren, was sie antreibt. So sind wir heute mit den zwei „Newcomern“ Stefan Klammer und Julia Zeleny verabredet und besuchen später noch Ulrich Huhs, der uns nicht nur sein Büro, sondern auch einen kleinen Umbau zeigen will, der gerade im Bau ist. 

Klammer + Zeleny sitzen im 5. Wiener Bezirk Margareten mit ihrem jungen Büro. Wir erleben eine sehr freundliche und mit den beiden lustigen Bürohunden ausgesprochen lebendige Begrüßung in ihren bescheiden aber geschmackvoll eingerichteten Räumen. Nach einem kleinen Vorgespräch werden die Pläne ihres aktuellen Schulbauprojekts ausgebreitet und erläutert. Der neue Bildungscampus am Nordbahnhof ist nach vielen vorhergegangenen Wettbewerbsversuchen ein erster großer Erfolg. Hinter dem Motiv der „Campus-Blume“, die sich übersetzt im Grundriss ablesen lässt, steckt ein neuartiges pädagogisches Konzept, dass hier nun räumlich umgesetzt wird. Das Haus ist im Bau und später sehen wir auf dem Bildschirm eines Mitarbeiters Ausschnitte aus der Ausführungsplanung, die nach aktuellsten Methoden mit dem digitalen BIM-Werkzeug entsteht. Live-Einblicke in die Architektenwerkstatt, in dem sich mit den Erzählungen der beiden jungen Architekten erahnen lässt, wie viel Kraft und Mühe es kostet, das Abenteuer der Selbstständigkeit einzugehen und wie viel Freude es schließlich bringt, die ausgedachten Pläne in Beton umgegossen zu sehen. Wenn wir demnächst nochmal wieder kommen, freuen wir uns auf einen Besuch in der fertigen Schule und sind gespannt, was schließlich daraus geworden ist! Jetzt aber weiter, das Angebot den Arbeitsalltag der fleißigen Gruppe erleben zu dürfen soll nicht überzogen werden. 

Zwischen zwei Treffs noch Zeit für kleine weitere Referate. Bei einem Café-Imbiss Berichte über neue Wiener Architekturprojekte und das Wiener Theater, dass uns am KKK-Tag noch in unserer Sammlung fehlte und nun zeitlich passend den abendlichen Besuch des Burgtheaters einläutet. Hier blitzt noch einmal durch, was unsere Wiener Erlebnisse von Beginn an begleitet hat: das Kulturleben ist ausgesprochen lebendig und reich, Bezüge zur Geschichte immer wieder erkennbar und die Lust auf Neues allgegenwärtig. 

Nun aber noch der kurze Besuch im Büro von Ulrich Huhs in der Morizgasse, in der Nähe des Margaretengürtels, an der Wienzeile.  

Beim Anblick des breiten Grabens und des noch breiteren Stadtraumes zwischen den begrenzenden Häuserreihen dieses Stadtraumes kann man gar nicht anders als darüber nachzudenken, wie sich das wohl in Zukunft entwickeln könnte, mit weniger Autoverkehr und mehr Platz für weitere Wohnungen oder lebendige Nutzungen dieses Freiraumes mitten in der Stadt. Erst recht, wenn einem die zukunftsweisende Entwurfszeichnung Otto Wagners für die Gestaltung eines breiten Boulevards an dieser Stelle noch einmal in den Sinn kommt. 

Ulrich Huhs empfängt uns in den stilvoll gepflegten Räumen seines Altbau-Büros im 4. Stock und erläutert einige seiner Projekte. Eine Wohnhausanlage im Seefeld, mit ausgezeichneten Holzbauten und einem schlüssig und klar durchdachten Nutzungskonzept, was auch zukünftige Änderungswünsche mit einbezieht. Dann noch ein Umbau eines70er Jahre Bestandsbaus, der nicht mehr zeitgemäß und damit kaum nutzbar schien und, als Vorbereitung des anschließend vereinbarten Besuchs einer kleinen Baustelle, die Umbaumaßnahme eines ehemaligen Ladenlokals im Palais Eschenbach für die Akademie der bildenden Künste. Hier entsteht ein externer Ausstellungsraum, xhibit genannt, wo Ulrich Huhs uns einen Einblick in die Baustelle gewährt. Man spürt auch hier, mit welcher Sorgfalt, Verstand und Leidenschaft er seiner Arbeit nachgeht und so dazu beiträgt, dass wieder ein tolles neues Stück Wien entsteht. Baba lieber Ulrich, gerne kommen wir demnächst zum Besuch der fertigen Galerie zurück! Doch wird es jetzt Zeit, ins Burgtheater zu eilen, Mephisto wartet nicht auf uns… 

Wer dieses Stück von Klaus Mann kennt, denkt wahrscheinlich sofort an die grandiose Verfilmung des Romans mit dem Wiener Schauspieler Klaus Maria Brandauer, der immer noch hier auftritt. Allerdings ist diese Inszenierung der Geschichte des Schauspielers Gustaf Gründgens alias Hendrik Höfgen mit jüngeren Kollegen besetzt. Mit dieser Bühnenfassung von Bastian Kraft und dem mittlerweile berühmten Burg-Schauspieler Nicolas Ofczarek in der Hauptrolle, erleben wir nochmal ein ganz besonders starkes Stück Wien. Die Inszenierung ist überaus kraftvoll, sowohl die Schauspieler, wie auch das Bühnenbild wo sich fast alles auf einem breiten, langen Laufband abspielt, nehmen uns vom ersten Moment an gefangen und lassen uns auch nach der dreistündigen Aufführung lange nicht mehr los. Vor allem der vielschichtige Blick in die Geschichte und das Aufdecken menschlicher Abgründe und zugleich Sehnsüchte berührt das persönliche Empfinden, gerade vor dem Hintergrund drängender aktueller politischer und gesellschaftlicher Fragestellungen. Am Ende sitzen alle schweigend auf den Steinstufen vor dem Theater und lassen wirken, was das Erlebte verbindet. 

Mi. 12.09.18 

WIEN WIE ICHS WILL. Zeit zur freien Verfügung. 

Der letzte Tag ist ein freier Tag. Heute gehen alle dem nach, was vielleicht noch gewollt ist, noch anliegt oder sich ergibt. Gleich zu Beginn hatten wir ja abgesprochen, dass wir uns in dieser Woche unmöglich alles ansehen können, was es anzusehen gibt. Dazu müsste man sicher ein Jahr oder vielleicht sogar noch viel länger bleiben. So haben wir uns darauf beschränkt, den Sachen, die wir sehen oder den Begegnungen, die wir vereinbart haben, ausreichend Zeit zu lassen. Andernfalls besteht einfach die Gefahr, zwar sehr viel, am Ende aber gar nichts gesehen zu haben. 

Bei mir stünde heute noch die Werkbundsiedlung, die Seestadt Aspern, die Gasometer oder aber der von der Werkbund Freundin Alexandra Apfelbaum empfohlene Wohnpark Alt-Erlaa auf dem Programm. Viele zu viel natürlich für einen Tag und so entscheide ich mich für nichts davon und gehe einfach in die Stadt um mir den Judenplatz anzusehen. Anne hatte davon erzählt und mir angedeutet, dass mir dieser Ort sicher gefallen würde. In der Tat, ein sehr schöner, heller Platz, etwa 20×50 Meter groß, umgeben von Wiener Stuck und Klassik. Abseits des hektischen Touristentreibens im ersten Bezirk, wirkt diese stille Oase wie ein Innenwohnraum. Außer den zwei sich gegenüber stehenden Denkmälern in der Längsachse ist der Raum leer. Ein paar Terrassenstühle noch vor den wenigen Cafés.  

Die beiden Monumente weisen mir den Weg in die historische Seele dieses Ortes. Das bronzene Lessing Denkmal von Siegfried Charoux, einst von den Nazis zerstört und nach dem Krieg wieder aufgebaut knüpft ebenso an die jüdische Vergangenheit Geschichte an wie das von der Künstlerin Rachel Whiteread geschaffene Holocaust Mahnmal. Ich bleibe hier eine Zeit lang und mache mich an eine kleine Skizze des Platzes und meine etwas von der mahnenden und zugleich würdevollen Kraft der Bilder, die sich mir zeigen, spüren zu können. 

Mitten in der Skizze und in Gedanken kommt Anne auf den Platz geradelt. „Wie schön! Lass uns zusammen etwas unternehmen!“ Zuerst einen Kaffe im kleinen Café von Hermann Czech. Ganz nett, wäre da draußen vor der offenen Türe nicht die Baustelle mit nervendem Geschrei einer Schleifmaschine. Dann stehen wir irgendwann vor dem Albertina Museum, fahren mit der Rolltreppe unter dem von Hollein geschaffenen Flugdach auf die höher gelegene Eingangsebene und werden im Museum selbst mit einer Ausstellung über Architekturzeichnungen empfangen! Das ist eine ungeplante Überraschung und ich freue mich riesig über diese Möglichkeit eine stattliche Sammlung von Orginalzeichnungen sehen zu dürfen. Besonders beeindruckt bin ich von einer Bleistiftzeichnung von Francesco Borromini, die der große Barockbaumeister im siebzehntenten Jahrhundert für den Grundriss und die Kuppeldecke von Sant Ivo in Rom gefertigt hat. Die Zahlen, kleine Korrekturen und sogar die Einstichlöcher des Zirkels sind klar erkennbar, machen das Jahrhunderte alte Werk quicklebendig. Was für ein Fest! Noch viele weitere der etwa 70 Zeichnungen halten mich fest, eine Skizze von Adolf Loos etwa oder eine Buntstiftzeichnung von Hans Hollein. Beeindruckend die großen ausgearbeiteten Stadtansichten und Panoramen, die Komposition des Ganzen und der Blick für das kleinste Detail, phantastisch alle diese unterschiedlichen Handschriften und Schaffenskraft. Das ist wahrlich ein gelungener Abschluss dieser Wien-Reise für mich und ganz beseelt davon sitze ich später noch im Kreis der Reisegruppe im Heurigen um ein letztes Glas Veltliner zu genießen und das Erlebte gemeinsam ausklingen zu lassen. 

Villa Beer Wien, Skizze Benedikt Stahl
Postsparkasse, Skizze Benedikt Stahl

Do. 13.09.18 

WIEN BABA. Abreise. 

Natürlich braucht es noch einen verlängerten Braunen oder eine Wiener Melange bevor es wieder nach Hause geht. Ein letztes Treffen mit Elena, die uns hier so wunderbar eingeführt und geholfen hat und der ich für diese Unterstützung unendlich dankbar bin! Dann aber wirklich BABA, was, soviel lese ich später in etwa die Kurzform des ehemaligen Grußgebrauchs „Auf Wiedersehen und grüßen Sie mir den Herrn Papa (Baba)!“ entspricht.  

Auf dem Flughafen beginne ich später diesen Rückblick und lese während des Fluges in einem kleinen Büchlein von Jannis Kounellis. Hier schreibt der große Künstler etwas über die Reise und ich finde, gemeinsam mit Judith, die mir in dieser Woche eine wunderbare Begleiterin war, dass dieser kleine Textausschnitt, den ich hier wiedergebe, den Sinn dieser Reise oder den Sinn des Reisens überhaupt vielleicht am besten zu deuten vermag. 

Auszug aus „Wind“ von Jannis Kounellis: 

Reise 

Für mich heißt Reise „woanders hingehen“. Ich fühle mich, wie jeder Künstler vom Anderswo angezogen, aus kulturellen Gründen und durch das Abenteuer, das immer in der Kunst steckt. Aber es ist ungenau, die Suche als eine Reise in das Unbekannte zu bezeichnen. Man wird immer von etwas Bekanntem angezogen., von einer Kleinigkeit vielleicht. Man will ein Bild von van Gogh sehen und endet in Paris. Man entdeckt Paris und mit Paris die französische Kultur…Jede Reise hat den Charakter einer Initiation, ist Vorstellung von einem aktiven, liebevollen, ausgedehnten Erkennen. 

DANKE! 

Ich danke allen Teilnehmern und Gastteilnehmern für ihre Mitgestaltung und das Mitreisen! Insbesondere Birte Schäfer und Christian Reinecke für ihre Mitarbeit. Den Wiener Freunden, Kolleginnen und Kollegen danke ich für ihre Zeit, ihre Gastfreundschaft und die inspirierenden Begegnungen! Vor allem der Wiener Freundin Elena Henrich danke ich sehr für die phantastische Hilfe bei den Reisevorbereitungen und Koordination der Begegnungen vor Ort! 

September 2018, Benedikt Stahl 

Teilnehmer: Frederic Hormesch, Elena Hanke, Viviane Heidemann, Christian Reinecke, Hannah Sylla, Veronica Volz, Birte Schäfer, Helen von Vöhren, Livia Machler, Anna-Zoe Nebelung, Yunus Saedi, Jan Tietz 

Gastteilnehmer: Ruben Sommer, Judith Kleintjes, Anne-Clara Stahl 

Vorbereitung und Koordination vor Ort: Elena Henrich