Weiter wohnen wie gewohnt?
Nach einer Dekade der Diskussion um Stadtschrumpfung und demografischen Wandel, wachsen deutsche Städte bereits seit einigen Jahren wieder. Viele Akteure bekunden konkreten Wohnraummangel. In Nordrhein-Westfalen stehen dabei insbesondere die Universitäts- und Großstädte in der Rheinschiene im Fokus. Da ein weiteren Außenwachstum der Städte keine politisch gewollte Option mehr ist, wird Bauland in diesen Städten zu einer knappen Ressource. Im Rahmen städtebaulicher Innenentwicklungen treten deshalb vorwiegend städtische Übergangs- und Resträume in den Mittelpunkt der Betrachtung. Diese sind häufig von extensiven und zum Teil wenig attraktiven Vornutzungen geprägt.
Kontext der Entwurfsaufgabe ist ein von der Stadt Bonn seit Längerem betrachteter städtischer Übergangsraum im Bonner Süden, der sich entlang der Bahntrasse Richtung Koblenz erstreckt. Im Rahmen eines stadtinternen Qualifizierungsverfahrens wurden 2019 drei unterschiedliche Szenarien der städtebaulichen Entwicklung für diesen großen, heterogenen Stadtbereich zwischen Reuterstraße und Südfriedhof entwickelt.
Das Atelier IV Gebäudelehre hat im nördlichen Teil des Plangebiets zwischen Albert-Fischer-Straße im Norden, Bahntrasse im Osten, Rheinweg im Süden und Lahnweg im Westen konkrete Vorschläge für ein größeres zukunftsweisendes Wohnbauprojekt entwickelt, welche die oben genannten Fragen erörtert und dabei neue und ggf. „un-gewohnte“ Wege geht.
Im Rahmen des Ateliers IV Gebäudelehre konnten
die Teilnehmer die im städtebaulichen Entwurf entwickelten Szenarien überprüfen und wo nötig verändern. Die innere Struktur des Entwurfs war durch die Bearbeiter entlang grundsätzlicher Fragestellungen und Betrachtungsebenen der Gebäudelehre zu entwickeln und im Entwurf zu erarbeiten. Dies betraf die Wohnnutzung und die Nutzungsmischung, die Erschließung, die Orientierung, Zonierung und Schichtung des Baukörpers, den Wohnungsmix, d. h. die Anzahl und Größe der Wohneinheiten und der Wohntypologien, die Form und den Umfang der wohnungsintegrierten und wohnungsnahen Freiräume, den ruhenden Verkehr sowie die innere und äußere Organisation und Position der installierten Räume (als Grundriss-strukturierende Elemente). Eine zentrale zu klärende Frage war dabei: Wie können minimale Wohnungen gute Innenräume aufweisen und wie können diese in dichter Form mit Grünbezug angeordnet werden, sodass trotz Nähe zur Bahn eine qualitätsvolle, einladende Nachbarschaft entsteht? Bezüge und Vergleiche zum Vorjahresprojekt an der Drachenquelle in Bad Honnef sind ausdrücklich gewünscht. Neben der inhaltlichen Herausforderung, die der Komplexitätssprung des im vierten Semester angesiedelte Entwurfsprojekt erfahrungsgemäß mit sich bringt, mussten sich die Studierenden Corona-bedingt sehr kurzfristig auf ungewohnte, weitgehend digitale Wege des Studierens und Kommunizierens einlassen. Trotz oder gerade wegen dieser doppelten Herausforderungen entstanden selbstbewusste und eigen-artige Projektvorschläge die sich deutlich vom aktuellen Baugeschehen im Bonn Wohnungsbau unterscheiden und die Diskussion um zukünftiges Wohnen in der Stadt anregen. •